von Emma Judson, Übersetzung Simone Müller
Emma Judson über das Wurfgeschwister-Syndrom (Littermate syndrom).
Provokativ, direkt und damit bestimmt zum Nachdenken anregend.
Anmerkung der Übersetzerin:
Als Wurfgeschwister-Syndrom (engl. Littermate syndrome) bezeichnet man ein Phänomen, welches überdurchschnittlich häufig bei Wurfgeschwistern auftritt, die im selben Haushalt aufwachsen. Die jungen Hunde sind so sehr auf sich gegenseitig fokussiert (over-bonding), dass selbst eine kurzfristige Trennung ein traumatisches Ereignis darstellt und eine angemessene Auseinandersetzung mit der Umwelt unmöglich ist, was eine adäquate Alltagssozialisierung erheblich erschwert.
Du willst zwei Welpen?
Hoffentlich liest du dies, BEVOR du dir einen Welpen kaufst oder überlegst, dir gleich zwei Welpen zuzulegen, möglicherweise sogar Wurfgeschwister. STOP! Setz dich wieder hin, atme tief durch und nimm dir eine Minute Zeit, dies hier zu lesen:
Vielleicht hast du von jemandem gehört, der zwei Welpen gleichzeitig bei sich aufgenommen hat und der einfach Glück hatte. – Wir werden später auf diese Menschen zurückkommen. Für den Rest von uns ist dies der direkte Weg in einen ALPTRAUM, eine Katastrophe und eine völlig unerfreuliche Erfahrung für Welpen- und Hundehalter, das kannst du mir glauben.
„Damit sie sich Gesellschaft leisten können“
Frage dich zuerst einmal, warum für dich zwei Welpen eine bessere Idee sind als ein Welpe allein.
Die meist genannte Antwort ist, dass „zwei sich gegenseitig Gesellschaft leisten“. Jetzt frage dich, warum sie sich gegenseitig Gesellschaft leisten müssen. Vielleicht weil du so oft nicht da bist? Wenn die Antwort ja ist, dann hast du ehrlich gesagt, nicht mal die Zeit für EINEN Welpen. Jedenfalls nicht, ohne einen Hundesitter, eine Tagesbetreuung oder ein Familienmitglied zu organisieren, das den Welpen tagsüber betreut oder ihn mit zur Arbeit nehmen kann. Wenn NICHTS von dem oben genannten organisiert werden kann, dann solltest du entweder abwarten, bis dies möglich ist, oder dir einen älteren Hund zulegen, der damit zurechtkommt alleine zu bleiben. Hundebesitz ist ein Privileg für diejenigen, die Zeit, Geld und Geduld haben, kein Recht für diejenigen, die „einfach wollen“.
„Weil sie süß sind“
Die nächsten Top-Antworten lauten: „Weil sie süß sind / weil die Kinder jeweils einen haben wollen / weil wir sie nicht auseinanderreißen können / weil wir uns nicht zwischen ihnen entscheiden können / weil der Züchter uns einen Rabatt anbietet, wenn wir zwei nehmen …“. Welpen SEHEN nun einmal niedlich aus. Wenn sie das nicht täten, würden wir nicht all die schrecklichen Dinge ertragen, die sie tun. Welpen SIND eigentlich überhaupt NICHT niedlich. Hör auf, an niedlich zu denken! Es vernebelt dir das Gehirn, und du vergisst die wichtigen Dinge im Leben. Niedlich ist ein Überlebensmechanismus, der dich in die Irre führt. Ignoriere niedlich! Welpen sind inkontinent. Welpen beißen. Und sie beißen fest! Welpen sind extrem laut. Und sie fordern rund um die Uhr deine Aufmerksamkeit. Welpen sind extrem teuer, anstrengend und fressen deine wertvollsten Sachen. Sie zerreißen deine Teppiche und dein Sofa. Sie schleppen deine Schuhe in den Garten und vergraben sie dort. Welpen bringen deine Nachbarn dazu, dich zu hassen. Sie bringen dich um den Schlaf, und ständig tritt man in Kacke oder Pipi… Welpen sind NICHT NIEDLICH!
„Weil die Kinder jeder einen wollen“
Was Kinder wollen ist zwar generell wichtig, aber NICHT, wenn es um „Ich will einen Welpen haben!“ geht. Ja, sicher, sie wollen einen Welpen, aber nächste Woche wollen sie ihn gegen eine Wii eintauschen. Die Woche drauf wollen sie ein Skateboard. – Ich habe nichts gegen Kinder, ich war selbst mal eins. Aber was Kinder wollen, wenn es um niedliche Dinge geht, ist KEIN Grund, sich auf zwölf oder mehr Jahre Hundebesitz einzulassen.
Welpen lernen nicht gut von anderen Welpen
Welpen zu trennen ist GUT für sie! Wenn Welpen zusammen sind, üben sie nur Welpen zu sein. Was das bedeutet, darauf werde ich gleich noch eingehen. Welpen lernen NICHT von anderen Welpen, wie man ein netter, vernünftiger erwachsener Hund wird, so wie Kleinkinder nicht von anderen Kleinkindern lernen, wie man Quantenphysiker wird. Sie lernen das von Erwachsenen. Die Jungtiere jeder wild lebenden sozialen Säugetierart verlassen mit Erreichen der Geschlechtsreife ihre Familie. Zwischen dem Stadium „Babytiere“ und dem Stadium „Jugendliche“ haben sie Kontakt mit einem breiten Spektrum aller Altersklassen ihrer Art. Von gleichaltrigen Tieren bis hin zu alten und von netten Tieren bis hin zu mürrischen und allem was dazwischen liegt. Wenn sie von ihrer sozialen Gruppe die Nase voll haben, dann machen sie sich auf den Weg, um ihr Glück in der großen weiten Welt zu suchen. Gelegentlich tun sich einige von ihnen für eine Weile zusammen – aus freien Stücken!
Bei dir zu Hause bleibt ihnen aber keine Wahl! Sie sitzen dort fest, dauerhaft und auf engstem Raum. Die beiden Welpen, die normalerweise Zeit mit anderen erwachsenen Hunden, Tanten, Onkeln und Cousins verbringen würden, die ihnen alles Mögliche beibrächten, sie wachsen nur miteinander auf. Wer kann schon wissen, ob sie sich im geschlechtsreifen Alter immer noch lieben und zusammenhalten, oder ob sie sich gegenseitig schrecklich hassen und bis auf den Tod bekämpfen? Sicherlich nicht du oder ich! Und willst du mit der Gefahr leben, dass dies passiert und du dich zwischen deinen geliebten Haustieren entscheiden musst? Oder willst du mit der Angst leben, dass eines Tages jemand eine Tür offen lässt und Fiffi Waldi den Kopf abreißt? Oder dass Hasso und Rex kämpfen und dein Kind dazwischen gerät und verletzt wird? Glaub mir: Welpen mit neun Wochen zu trennen ist kinderleicht, verglichen mit dem Entsetzen, sich einzugestehen, dass man zwei Hunde hat, die sich gegenseitig allen Ernstes töten wollen.
Ein Welpe ist genug
Wenn du dich nicht entscheiden kannst, wirf eine Münze. Oder überlasse dem Züchter die Entscheidung. Oder geh spazieren, während du dir den Kopf zerbrichst. Du wirst einen Weg finden, wie du wählst. Du hast in deinem Leben schon härtere Entscheidungen treffen müssen und wirst dies wahrscheinlich auch in Zukunft wieder tun. Und zum Schluss … weil der Züchter dir einen Rabatt angeboten hat? Jeder Züchter, der leichtfertig einem Menschen zwei Welpen aus demselben Wurf verkauft, INSBESONDERE gleichgeschlechtliche Wurfgeschwister, hat nur genau eines im Kopf: Dein Geld.
Es ist ihm egal, ob die Welpen glücklich bis ans Ende ihrer Tage leben. Es ist ihm egal, ob du die nächsten zwölf Jahre in einer Hölle auf Erden verbringst. Es ist ihm egal, ob du einen der Hunde zum Tierarzt bringen musst, um ihn einzuschläfern. Er will nur dein Geld! Dasselbe gilt übrigens auch für Hinterhofzüchter, für Betreiber von Welpenfarmen und Vermehrer, die dir einen Welpen aus einem Kofferraum andrehen möchten, sowie für die Züchter von Wolfshybriden oder erfundenen Rassen, die Welpen ohne die erforderlichen Gesundheitstests züchten oder verkaufen, die keine Rücksicht auf die Elterntiere nehmen und die dir nicht die erforderlichen Ratschläge geben, die du benötigst, damit dein Welpe ein langes und glückliches Leben führen kann. Sie wollen dein Geld, mehr nicht!
Zwei Welpen machen drei Mal so viel Arbeit
Fassen wir zusammen: Du denkst, du hast ausreichend Zeit für zwei Welpen. Du tust es nicht, weil die Welpen so niedlich sind. Und du denkst, dass der Züchter verantwortungsbewusst und seriös ist… Und trotzdem solltest du dir keine zwei Welpen holen! Zwei Welpen machen drei Mal so viel Arbeit wie einer, wenn nicht mehr. Alles, was du mit einem Welpen machst, musst du mit dem anderen auch machen. Und zwar getrennt vom anderen UND nochmal gemeinsam! Das macht also Sozialisation mal drei! Drei Mal Training, drei Mal Spazieren gehen etc. Es ist auch eine Million Mal schwieriger, zwei Welpen stubenrein zu bekommen: Sind sie zusammen draußen, dann spielen sie miteinander und vergessen daher zu kacken. Bringst du dann einen so lange rein, wie du mit dem anderen draußen bist, stellt der erste währenddessen die Bude auf den Kopf.
Solange ihr nicht ZWEI Erwachsene seid, die wild entschlossen sind, dieses Projekt gemeinsam anzugehen oder du die Gabe hast, an mehreren Orten gleichzeitig zu sein, wird es bis zur Stubenreinheit VIEL länger dauern. Wie viele Monate bist du bereit, Pipi und Kacke im Haus zu ertragen? Erfahrungsgemäß dauert es bei EINEM Welpen schon mehrere Monate, bis er zuverlässig gelernt hat im Haus einzuhalten. Bei ZWEI Welpen kannst du leicht schon halb erwachsene Hunde von sechs Monaten oder älter haben, die immer noch ins Haus machen.
Zu zweit haben sie mehr „Spaß“
So… ihr müsst also zwei Erwachsene sein, um die beiden Welpen zu erziehen. Und ihr könnt sie nicht zusammen alleine lassen. Denn wenn du schon befürchtest, dass EIN Welpe deine Wohnung zerstört, wenn er alleine bleiben muss, dann hast du KEINE AHNUNG von dem, was ZWEI Welpen gemeinsam in deiner Wohnung anrichten können. Sie zernagen dein Sofa und fressen deine Teppiche. Bring sie während deiner Abwesenheit in den Garten und du kannst dabei zuschauen, wie sie sich durch den Gartenzaun fressen, um zum Nachbarn zu gelangen, oder wie sie den ganzen Tag lang heulen und toben. Und zu diesem Zeitpunkt lieben sie sich noch. – Warte mal ab, bis sie erst geschlechtsreif sind und beschließen, dass diese Stadt nicht groß genug ist für sie beide…
Funktioniert´s manchmal?
Wie ich zu Beginn sagte: Es wird immer jemanden geben, den du kennst oder von dem du gehört hast, bei dem es funktioniert hat. Meiner Einschätzung nach kommen auf einen, der hier tatsächlich die Wahrheit sagt, mindestens zehn Leute, die lügen oder zumindest einige Details verschweigen. Fühle denen auf den Zahn und frage genau nach, wohin sie ihre Hunde mitnehmen können und wohin nicht. Wahrscheinlich wirst du feststellen, dass die Hunde das Grundstück so gut wie nie verlassen oder nicht getrennt werden können, weil einer das Haus niederbrüllt, sobald der andere das Gebäude verlässt. Oder sie können nicht zusammen gehalten werden, weil einer den anderen umbringen will. Oder man kann ihnen nicht trauen, wenn Gäste da sind. Oder sie laufen nicht gut an der Leine. Oder, oder, oder… Befrage die Person, die sagt, dass das schon möglich ist, ob ihr Lebensstil in etwa deinem entspricht. Vielleicht hatte sie einfach Glück. Ich sage nicht, dass es niemals möglich ist. Vielleicht findest du aber auch heraus, dass diese Person den ganzen Tag zu Hause ist, auf zehn Hektar gut umzäuntem Land lebt und in 100 Kilometern Entfernung in jede Richtung keine Nachbarn hat. Mit Sicherheit gibt es da so einige Details, die deutlich machen, dass das, was für diese Person funktioniert, möglicherweise NICHT für dich funktionieren wird. Die meisten Menschen machen Fehler mit Welpen. Wir sind schließlich nur Menschen. Und Fehler sind etwas, was wir Menschen ziemlich gut machen. – Ein nicht gut sozialisierter Welpe ist eine Nervensäge, die man noch ertragen kann… Zwei sind ein Albtraum! Zu dem Zeitpunkt, wenn du feststellst, dass zwei Welpen vielleicht doch ein Fehler waren, ist es meist einer dieser beiden Welpen, der am meisten unter deinem Irrtum leidet.
Mach´s nicht schwieriger als es ist
Wenn du bereits zwei Welpen hast, denkst du vielleicht, ich übertreibe oder male den Teufel an die Wand. – Glaube mir: Ich schreibe das hier nicht, um dich zu erschrecken oder dir dein Leben mit deinen Welpen zu vermiesen. Wir alle lieben unsere Hunde und haben eine Vision, wie unser Leben mit unserem erwachsenen Hund aussehen wird: Es wird Spaß machen und ziemlich unbeschwert sein mit unserem Hund an unserer Seite, der aufs Wort horcht und einfach nur sein Leben genießt.
Die Wahrscheinlichkeit, dass diese Vorstellung Wirklichkeit wird, verringerst du drastisch, wenn du zwei Welpen gleichzeitig aufnimmst. Man muss nur mal einen Blick in die Tierheime dieser Welt werfen, um zu sehen, dass MILLIONEN von Menschen jeden Tag daran scheitern, auch nur EINEN Hund großzuziehen! Warum es noch schwieriger machen, als es bereits ist? Die Welt wird immer weniger hundefreundlich, und von Hunden wird erwartet, dass sie sich in jeder Situation einwandfrei verhalten. Gib dir und deinem Hund die allerbeste Chance, die ihr haben könnt, auf ein glückliches Leben zusammen – hole dir jeweils EINEN Welpen von einem seriösen Tierheim oder Züchter. Wenn du bereits zwei Welpen hast und jetzt schon am Kämpfen bist, gib einen ZURÜCK oder suche ihm ein gutes Zuhause. Es ist viel einfacher, es jetzt im Alter von ein paar Wochen zu tun, als in sechs oder zwölf Monaten. Nur sehr wenige Menschen wollen es mit einem halbwegs außer Kontrolle geratenem Junghund aufnehmen, der schlechte Gewohnheiten von seinen Geschwistern gelernt hat. Wenn du dich entscheidest, beide Welpen zu behalten, werden wir dir trotzdem zur Seite stehen und dir alle Ratschläge geben, die du brauchst und haben möchtest. Dies ist kein Fall von „Tu, was ich sage, oder wir werden dir nicht helfen“. Wenn du dich dafür entscheidest, es auf die harte Tour durchzuziehen, werden wir dir trotzdem helfen, und nicht sagen: „Ich habe es dir gleich gesagt“. Beim positiven Hundetraining geht es darum, die richtigen Entscheidungen zu treffen, egal wie schwer diese sein mögen. Ich hoffe, dieser Text hilft dir dabei, dich zu entscheiden, wenn du einen Welpen möchtest, oder eine schwierige Entscheidung zu treffen, wenn du bereits zwei Welpen hast.
Titel des Original-Artikels: DoubleTrouble – Two puppies at once? von Emma Judson